Osterspaziergang – Faust I

Osterspaziergang – Faust I
von Johann Wolfgang von Goethe:

Johann Wolfgang von Goethe (geb. 28.08.1749 in Frankfurt aM; gest. 22.03.1832 in Weimar) ist Deutschlands bekantester und meist zitierter Dichter. Als Forscher veröffentlichte er auf verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebieten.

Goethes Werke umfassen das gesamte Spektrum der Dichtkunst, Lyrik, Dramen, erzählende Werke (in Vers und Prosa), autobiografische, ästhetische, kunst- und literaturtheoretische sowie naturwissenschaftliche Schriften und sogar sein umfangreicher Briefwechsel sind von großer literarischer Bedeutung. Goethe war ein Vorreiter und der wichtigste Vertreter des Sturm und Drang. Auch heute wird sein Werk zu den Höhepunkten der Weltliteratur gezählt.

Faust. Eine Tragödie

Faust. Der Tragödie erster Teil (oder kurz Faust I) von Johann Wolfgang von Goethe ist das bedeutendste und meistzitierte Werk der deutschen Literatur. Die Tragödie erzählt die Geschichte des historischen Doktor Faustus auf und wird in Faust II zu einer Menschheitsparabel.

Am Ostersonntag unternimmt Faust mit Wagner einen Osterspaziergang und mischt sich unter das Volk. Die Landbevölkerung ziegt ihm aufgrund seiner medizinischen verdienste ihre Hochachtung. Bürger und Bürgerinnen treten ebenso auf wie Studenten, Handwerksburschen, Soldaten, Bürgertöchter und Mägde und geben soe einen Querschnitt der mittelalterlichen ständischen Gesellschaft.
Faust selbst offenbart seine Zerissenheit zwischen seinen körperlichen und seinen geistigen Bedürfnissen und seinem Drang zu Höherem:

    Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen: die eine hält in derber Liebeslust sich an die Welt mit klammernden Organen; die andre hebt gewaltsam sich vom Dust zu den Gefilden hoher Ahnen.

Das ganze Kapitel lesen Faust – Osterspaziergang

Osterbilder, Osterblumen

Osterspaziergang

Faust. Eine Tragödie

Vom Eise befreyt sind Strom und Bäche,
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,
Im Thale grünet Hoffnungs-Glück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.

Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Ueberall regt sich Bildung und Streben,

Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlts im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen.

Aus dem hohlen finstern Thor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feyern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,

Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbes Banden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht

Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß, in Breit’ und Länge,
So manchen lustigen Nachen bewegt,

Und, bis zum Sinken überladen
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,

Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s seyn.

Johann Wolfgang von Goethe
Faust I