Weihnachtsepistel von Otto Ernst
Weihnachtsgedichte:
Weihnachtsepistel von Otto Ernst
Die Weihnachtsepistel von Otto Ernst ist eine eine vorlesenswerte Variation des Weihnachtsgedicht in Form einer Strafpredigt.
Lesen Sie selbst!
Otto Ernst, eigentlich Otto Ernst Schmidt (* 7. Oktober 1862 in Ottensen bei Hamburg; † 5. März 1926 in Groß Flottbek bei Hamburg) war ein deutscher Dichter und Schriftsteller. Otto Ernst war zu seinen Lebzeiten zwar beliebt und bekannt, doch schätzten die Kritiker ihn weniger. In einer Autobiographie beschrieb sich Ernst selbst als „hoffnungslos unmodern… weil ich zu Gutem und Bösem nicht schweige und stillhalte, sondern kämpfe, weil ich entgegen der Mode und trotz eigener schwerer, ja widerwärtiger Erfahrungen Optimist bin, weil ich nach einer gesunden, schlichten Kunst strebe“.
Die Versepistel hat seit der Antike als literarische Gattung lehrhaften, satirischen oder erotischen Inhalts und als beliebte Form der Gelegenheitsdichtung die unterschiedlichsten Ausprägungen erfahren. Kurz gesagt ist eine Epistel eine Strafpredigt.
Interessant ist, wie Otto Ernst daraus ein Weihnachtsgedicht macht.
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Weihnachtsepistel
von Otto Ernst
Weihnacht kommt heran, das Fest der Kleinen,
Da die Großen wie die Kindlein werden,
Arme Hirten, Könige und Weise
Mit den Öchslein um die Krippe stehen
Und ein Kind in tiefster Demut ehren.
Ja, die Großen werden wie die Kleinen.
Halbe Stunden lang sitz ich geduldig,
Ein Stück „Nachwuchs“ auf dem Arm, auf jedem
Knie noch eins, und eines steht dazwischen.
Wie man sieht: ein Fünftes fände schwerlich
Platz noch: höchstens auf den Schultern könnten
Zwei noch sitzen. Los geht das Verhör nun!
„Hast du heut den Weihnachtsmann gesprochen?
Hat er wohl noch solche große Puppe,
Solche, weißt du wohl, die schlafen kann
Und die Arm’ und Beine biegen kann?
Und die richtig schreit?“ – „Ja, das ist wichtig!“
„Und ein Fläschchen auch dazu mit Lutscher?
Und ’nen Puppenwagen? Und ’ne Küche –“
„Ja, und sonst noch was? Ja freilich hat er
All dergleichen, aber nur für Kinder,
Die nicht eigensinnig sind, wie etwa
Hier mein kleines Dirnchen (in Gedanken
Und in Klammer: „und wie ihr Herr Vater!“)
„Dedda doosche Taffeetanne haben
Un Terwine un Papoffelschüssel –“
„Kriegst du, selbstverständlich.“ „Und ich wünsch mir
Nur ’ne große, ganz ganz große Trommel!“
„Ja, das möcht’st du wohl! Um mir die Nerven
Ganz kaput zu trommeln! Nicht vielleicht auch
Noch ein Glasklavier mit Blechtrompete?
Aber hört! wenn ihr hübsch artig seid
Und die Mutter mir nicht noch vor Weihnacht
In vier Stücke reißt, dann kriegt ihr jeder
Ganz gewiß von mir ein nagelneues,
Langes, breites, dickes, wunderschönes
Abgebranntes Zündholz –“. „Hahahaaaaa!“
Allgerechter! Diese Kehlen! Schrecklich
Dankbar ist dies Publikum für „Witze“!
Springen, Lachen, Johlen, Schreien, Strampeln –
Dein gedenk ich, großer Hagenbeck!
„Und was wünschest du dir denn, Papachen?“
„Ja – das muß ich reiflich überlegen. –
Denn die Sache ist mir doch zu wichtig. –
Halt! ich hab’s! Schon wieder hab ich einen
Handschuh irgendwo verloren. Schenkt mir
Einen linken Handschuh!“ „Ja, was kostet
Denn ein Handschuh?“ „Hunderttausend Taler!“
Neuer Sturm. Am Boden selbstverständlich
Endet dieses bürgerliche Schauspiel.
Wie ein Festungswall werd ich „genommen“,
Tapfern Fußes jubelnd überschritten,
Wie ein Schneemann werd ich erst gerollt und
Dann geknetet. Ja, du liebe Weihnacht,
Ja, ich sehe deutlich schon das Ende.
Immer weicher wird man, immer milder,
Schließlich kriegt der Kerl sie doch, die Trommel,
Und ich lasse gütigst auf mir trommeln.
Weihnacht kommt, das große Fest der Kleinen,
Da mit Hirt und Öchslein Könige
Um die Krippe stehn in frommer Demut.
Sonst – ich muß es grad heraus bekennen –
Ist zur Demut mein Talent im Grunde
Außerordentlich gering, und draußen
Mach ich mich nicht gerne klein mit Kleinen.
„Demut“ – eine böse Wurzel hat das
Wort, die schlimme Wurzel großen Übels:
Denn es kommt vom Schreckensworte „dienen.“
Unsre großen, freien, stolzen Vorfahr’n
Kannten den Begriff nicht und das Wort nicht.
Erst mit andren Schätzen aus dem Osten
Kam die Demut auch in deutsches Land.
Demut kriecht am Boden, und so ist sie
Immer nah bei Staub, Gewürm und Schmutze;
Aber hohen Blicks geht Stolz einher,
Achtlos tritt er Wurm und Staub mit Füßen.
Nein, die schönste biblische Geschichte
War und bleibt mir immer die vom Jakob,
Der den Engel frisch beim Kragen packte:
„Jetzo segne mich entweder – oder –“
Seine ganze Schwindelei vergeb’ ich
Ihm für diese echte Menschentat.
Ja, ach ja: zur kleingesinnten Demut
Fehlt mir die Begabung. Nur zu Zeiten –
Wenn die Weihnacht nahekommt – verkriech’ ich
Tief und stumm mich in mein Innerstes.
Auf der Heimkehr von der Arbeit such’ ich
Stille, kaum betret’ne Wege dann,
Wo die Sonne, müde schon und rot,
In umnebelten Gebüschen hängt,
Selten nur ein Vöglein sich davonhebt
Stummen Fluges durch die träge Luft,
Daß vom kaum gebognen Zweig der Schnee
Lautlos fällt auf Schnee. Auf fernem Wege –
Irgendwo – und kaum noch zu vernehmen,
Unter schweren Rädern kreischt der Schnee;
Über einer schwarzen Kate flimmert
Hoch und hell mein Stern von Bethlehem.
Dann geschieht’s. Zwei weiche, warme Hände
Kommen leis von hinten und verschließen
Mir die Augen. Süß erschauernd steh ich,
Regungslos gebannt, doch nicht erschrocken.
Dann mich leise wendend, in die Augen,
Große dunkle, feuchte Augen blick’ ich
Eines unergründlich schönen Weibes.
Weich in ihre Arme zieht sie mich,
Und mit warmen Hauch an meiner Wange
Flüstert sie mir zu in Heimlichkeit:
„Mach’s in diesem Jahre und in allen
So wie ich.“ – Gespannt in allen Fibern,
Hör ich, wie in leisen, starken Strömen
Neue Kraft die Adern mir erfüllt;
Zitternd steh ich, dem Kristallgefäß gleich,
Das mit rotem Feuerwein gefüllt wird. –
Bis vom nahen Strauch ein Vöglein schwebt
Stummen Fluges durch die träge Luft
Und vom kaum gebognen Zweig der Schnee
Lautlos fällt auf Schnee. Mit leisem Frösteln
Fühl ich, daß sie längst gelöst die Arme,
Daß ich längst allein am Wege stehe.
Aufgerafft dann, mit gestrafften Sehnen
Schreit ich weiter, immer gradaus blickend;
Gradaus blickend tret ich in die Türe,
Hut und Mantel leg ich ab; die Kinder
Klammern jubelnd sich an mich, und endlich
Schüttelt ungeduldig mich das Ältste!
„Vater! Vater! Was für Augen machst du!“
Und das Nächste ruft mit Händepatschen:
„Und was hast du heut für rote Backen!“
Dieses also ist mein Fest der Demut.
Schnurrig werdet ihr die Weisheit finden,
Die das Weib mir zugeraunt am Wege,
Schnurrig, daß ich mich vor diesem Weibe
Ohne Stolz in tiefster Andacht neige.
Rätselvoll zum mindesten erscheint euch
Jenes kurze Trostwort der Sibylle.
Aber ich verstehe sie vollkommen;
Auf der Heide schon in früher Kindheit
Lernt’ ich ihre Sprüche still begreifen.
Denn dies Weib mit dicken, brauen Zöpfen,
Jungen Brüsten und erglühten Wangen,
Meine Ur-Ur-Urgroßmutter ist es,
Die Natur. Saht ihr sie nicht im Sturmtanz
Jüngst sich drehen, daß die Röcke flogen?
Wirbelnd fegte sie mit ihrem Röckchen
Welkes, Mürbes, Morsches und Verdorbnes
Und Gestorbenes zum Land hinaus. –
Jetzo sind wir in den stillen Tagen,
Da sie schlummert oder unter Büschen
Tief verborgen träumt und träumend sinnt,
Sinnend schafft und in sich selbst versinkt.
Tief hinunter taucht sie in sich selbst,
Aus geheimsten Grund die Kraft zu holen.
Doch nur wen’ge Tage gönnt sie sich
Andachtsvoller Ruhe: Wenn in diesen
Dunklen Tagen sich die Sonne wendet,
Neu beginnt sie schon den Werdekampf.
In Myriaden dunkler Kammern schlägt sie
Zarte, reizende Gewebe auf,
In Myriaden dunkler, trauter Kammern
Webt sie grüne Blätter, bunte Blumen.
Klatscht sie in die Hände, springen lachend
Überall und überall die Knospen,
Und ans weiße Frühlingslicht hervor
Quellen samtne Blätter, seidne Blüten.
Recht im Licht mit weidlichem Behagen
Spreitet sie ihr leuchtendes Gewand.
Aus den Ställen lockt sie Rind und Schäflein,
Und in Waldesnacht und Bergesgründen
Weckt sie leise, süße Hirtenflöten.
Auch mit Donnern bricht sie wild herein,
Zornesblitze sprüht ihr dunkles Auge,
Wenn zu träge schleicht das Blut der Welt
Und sich staut in kläglicher Ermattung.
Aber in Myriaden dunkler Kammern
Kocht an heißer Glut die Wundersäfte,
Starke, süß’ und bittre Lebenstränke,
Backt sie Brot an Millionen Herden,
Singt dazu aus starker, süßer Kehle.
Dann die Schürze fest gefaßt an beiden
Zipfeln, springt sie jauchzend durch das Land.
Aus der Schürze langt sie Birn’ und Apfel,
Wirft sie Bub und Dirnlein an den Kopf,
Während über Stirn und Ohr ihr nicken
Goldene und funkelrote Trauben.
Hat sie alles lächelnd hingegeben,
Dreht sie tanzend, jauchzend sich im Sturme,
Kreischend, wie nur Weiber kreischen können:
Welkes, Morsches und Verdorbnes fegt sie
Und Gestorbenes zum Land hinaus.
Bis sie müde hinsinkt unter Büschen,
Schlummernd liegt mit einem Kinderantlitz,
Harmlos, ahnungslos, wie Kindlein sind.
Wen’ge stille Tage.
Und erwacht dann,
Träumt sie starren Auges, träumend sinnt sie
Sinnend schafft sie, in sich selbst versinkend.
Tief hinunter taucht sie in sich selbst,
Aus geheimstem Grund die Kraft zu holen.
Zärtlich ist sie sehr in diesen Tagen;
Geht am stillen Weg ein Freund vorüber,
Ein verzagter, kampfesmüder Wicht,
Schlingt sie hinterrücks um ihn die Arme,
Flüstert warm ins Ohr ihm: „So wie ich
Mach’s in diesem Jahre und in allen.“
Also laßt uns klein mit Kleinen werden,
Alle Süße der Beschränkung kosten,
Alle großen Wünsche still begraben,
Allen Zorn und Haß und allen Streit.
Schlummern laßt uns, harmlos, ahnungslos
Wen’ge stille Tage. Wunderbarlich
Lockt des Herdes Flamme, liebe Freunde,
Wenn ihr Flackerschein auf rote Wangen
Süßer Kinder fällt und aus den Augen
Eines anmutvollen Weibes glüht.
Ach, im Sessel tief zurückgelehnt,
Seht im Christbaum ihr den Engel schweben
Mit der Himmelsbotschaft: „Frieden, Frieden!“
Laßt uns an den süßen Frieden glauben;
Aber schlummert nicht zu lang. Es kommen
Tage, da dem Engel auf der Lippe
Jäh der Psalm zerreißt und von den Höhen,
Aus den Tälern die Trompete schreit. – – –
Jetzo find wir in den stillen Tagen.
Tief hinunter taucht in euer Herz,
Aus geheimstem Grund die Kraft zu holen.
Brauchen, brauchen werdet ihr die Kraft;
Denn die Zeichen reden Sturm und Krieg.
Taugen wird euch schlecht dann die Ergebung
Und die Demut und der sanfte Traum.
Demut und Ergebung! Eine Kette
Haben sie geschmiedet, die vom Anfang
Dieser Welt reicht bis zum heut’gen Tag.
Und wir schleppen an dem Erbe, das uns
Jene beiden liebreich aufgebürdet.
Und die Demutvollen, die Ergebnen,
Schmieden Glied um Glied die Kette weiter
Für den eig’nen Leib. Doch kommt der Tag auch,
Da zu lang die Kette wird, zu schwer
Und den wild Verzweifelten das Herz
Allgewaltig aufschwillt in der Brust
Und der Mensch, der zu den Sternen aufblickt,
Weiß und will, daß er zum Stolz geboren.
Weihnacht kommt, das milde Fest der Kerzen.
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